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*Nachwort 2018

Daß dieser Fingerabdruck nicht zu einer Wiederaufnahme führte, verärgert mich noch heute. Selbst einem Laien wird klar, daß die letzten Puzzleteile noch nicht eingesetzt sind. Zu viele Fragen und Ungereimtheiten stehen im Raum, die bis heute nicht geklärt sind. Was haben Ralf Z. und Roman M. mit dieser Tat zu tun? War es einer von ihnen, der letztlich auf Walter Sedlmayr einschlug und ihn ermordete? Ich persönlich bezweifle stark, daß Walter Sedlmayr seinem ehemaligen Assistenten, dessen Halbbruder oder gar Ralf Z. oder Roman M. an diesem Tag freiwillig die Tür geöffnet hätte. Oder teilte er Wendler während des Telefonats, das zwischen den beiden am Mordtag zwischen 12 und 15 Uhr stattgefunden haben muß, mit, daß er vorbeikommen soll, um die von ihm besorgte Hehlerware (unter anderem Gemälde, Schmuck und Silberbesteck) verschwinden zu lassen? Kam es dann während des Treffens, bei dem es zwangsläufig auch um den Anwaltstermin am darauffolgenden Montag ging, zu einem Streit, der schließlich eskalierte?

Dieser Fall mag für die Justiz und für die Öffentlichkeit abgeschlossen sein, für mich ist er es keineswegs. Natürlich wird man sich niemals bemühen, den Fall ein weiteres Mal aufzurollen. Man hatte 1993 bereits ein Urteil gefällt. Und zu kostspielig wäre die Angelegenheit ja schließlich auch. Es ist eine Schande. Es wäre höchst interessant gewesen, wenn man sich vorstellt, was bei einer Wiederaufnahme wohl so alles ans Tageslicht gekommen wäre.

Das Goethe-Zitat “Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr!” passt hier tatsächlich wie die Faust aufs Auge. Auch, wenn die Chancen, eine lückenlose Aufdeckung der Geschehnisse zu rekonstruieren, ziemlich gering sind, bin ich tropsdem davon überzeugt, daß es möglich ist und die ungeschminkte Wahrheit eines Tages aufgedeckt wird. Dieser Fall ist noch nicht abgeschlossen!

Thomas Darmstädt, ein deutscher Jurist, Journalist und Buchautor: „Wenn man mal genau hinschaut, staunt man, wie häufig die Justiz sich vertut und wie selten es dazu kommt, daß solche Fehler entdeckt werden, korrigiert werden oder gar wiedergutgemacht werden. Es ist ein verblüffender Zustand, daß sich niemand um diese Fehler kümmert und sie unter den Tisch fallen, nach dem Motto: ‚Shit happens!'“.

Damals schon, 1993, war ich mit dem Urteilsspruch irgendwie unzufrieden. Das Gericht musste den Brüdern eine jeweilige Schuld zuschreiben, ansonsten hätte man sie nicht verurteilen können. Andererseits konnte die Spur zum „dritten Mann“ zu diesem Zeitpunkt nicht ausgewertet werden, und die Indizien gegen Wendler und Langer waren zu erdrückend. Das beweisen auch ganz klar die Ermittlungsakten.

Jemand, der eine sehr interessante These vertritt, hat jahrelang eng mit Walter Sedlmayr  zusammengearbeitet und kannte ihn auch privat: sein Redenschreiber und Ghostwriter Hannes Burger. In einer an mich adressierten E-Mail erklärte er mir Anfang 2017  folgendes:

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Walter Sedlmayr mit Hannes Burger

„Meine Theorie zum Kriminalfall beruht auf normaler Krimi-Logik. Erstens bin ich davon ausgegangen, daß Sedlmayr sich von seinem ‚Freundeskreis‘ als Hehler missbraucht sah und als er merkte, daß es sich nicht mehr nur um Kunst-Diebstähle, sondern inzwischen um Waffenhandel ging, nicht mehr mitmachen wollte. Er sah sich inzwischen zu tief von seinen ‚Freunden‘ in die kriminellen Machenschaften verwickelt. Zudem hat er dieser Bande offenbar gedroht, er habe Beweis-Unterlagen und mit denen werde er am Montag zur Polizei gehen. Deshalb war vorbeugendes Handeln am Wochenende erforderlich.

Die beiden Halbbrüder mussten vor allem dazu dienen, da er ihnen die Wohnungstür aufsperrte, denn eingebrochen wurde ja nicht. Dem Amadeus hätte ich nie zugetraut, daß er Sedlmayr brutal mit dem Hammer erschlägt; dazu waren die zu eng miteinander. Den Langer kannte ich nur vom Sehen. Die volle Brutalität ist eher jemanden zuzutrauen, der sich erstens selbst gefährdet sieht und zweitens das Opfer nicht persönlich kennt.

Wenn ich jemanden mit dem Hammer umbringen will, dann haue ich ihm den von vorn aufs Hirn. Und wenn ich jemanden mit dem Messer ermorden will, dann steche ich ihm das ins Herz, nicht von hinten in die Nieren.

Letzteres macht nur einen logischen Sinn, wenn ich jemanden mit dem Messer von hinten an seinen Safe treiben und ihn zwingen will, diesen zu öffnen. Man wollte ja in erster Linie Sedlmayrs belastendes Beweismaterial beseitigen. Da er offenbar lange Widerstand leistete, stach man von hinten fester zu und verletzte ihn dabei lebensgefährlich an den Nieren. Nachdem er den Safe geöffnet hatte, fanden sie vermutlich auch etwas Bargeld, aber außer den Beweis-Dokumenten vor allem die Nummer(n) von seinem Konto (oder Konten) in der Schweiz. Daß er sich dort schwarz auszahlen ließ, wußte ich.

Nun war aber Sedlmayr bereits so schwer verletzt, lag bäuchlings festgehalten auf dem Bett, daß man ihn töten musste, damit er nicht mehr telefonieren oder Hilfe holen konnte, bevor alle abgehauen waren. Der dritte Mann, der ihn wohl am Safe von hinten verletzt hatte, nahm den nächsten herumliegenden Hammer von einem Regal und schlug ihn den von hinten auf den Kopf. Der auch von der Polizei vermutete „dritte Mann“ war vermutlich der am meisten Belastete und der Mörder. Der setzte sich wahrscheinlich noch am Samstag in die Schweiz ab, plünderte gleich am Montag mit Sedlmayrs Nummer dessen Konto dort und zog weiter, zum Beispiel nach Spanien, wo er Sedlmayrs Geld als Startkapital benutzen konnte.

Warum die Polizei den Fall nicht weiter verfolgte, weiß ich auch nicht. Erstens hatte man verurteilte „Täter“ durch Indizien und zweitens haben auch diese Brüder nicht viel zur Aufklärung beigetragen.“

Spätestens nach eingehenden Studien der Ermittlungsakten ist für mich jetzt völlig klar, daß ohne Amadeus Wendler der Mord an Walter Sedlmayr niemals stattgefunden hätte. Je tiefer man sich in den Fall gräbt und auf Wendlers offenkundige Lügen und Schauspielereien stößt, die er Bekannten gegenüber – auch unmittelbar vor der Tat! – , den Ermittlern, der Presse und auch späteren Mithäftlingen in einer Tour auftischte, je jämmerlicher wirkt dieser Mensch. Wer aber am Ende Herrn Sedlmayr erschlagen hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Es könnte durchaus Wendler gewesen sein, der die Beherschung verlor. Genügend Beurteilungen und Beobachtungen von Zeugen, die den Mann privat sehr gut kannten und ihn objektiv beschrieben, verdichten diese Möglichkeit. Ebensogut aber, wie Hannes Burger meint, ist diese Tat auch jemanden zuzutrauen, der zu Walter Sedlmayr keine weitere persönliche Beziehung hatte und die Hemmschwelle somit äußerst niedrig war. Könnte diese Kaltblütigkeit zu Roman M. und Ralf Z. passen, vor allem, wenn man von deren Vorstrafen und Verstrickungen Kenntnis hat? Die ganzen unschönen Details stehen ungeschminkt und wertfrei in den Akten. (Die Verbindung zwischen Ralf Z., Roman und Jürgen besteht, laut Information eines Journalisten, übrigens heute noch. Ralf Z. lebt nicht nur in Spanien, sondern auch zeitweise in Dänemark.) Die Tat ist letztlich aber auch jemanden zuzutrauen, der den Schauspieler nicht ausstehen konnte – wie zum Beispiel der Halbbruder, Martin Langer. Seine Rolle und Verstrickung in diesem Mordfall ist mir allerdings nach wie vor schleierhaft. War er an der Tat aktiv beteiligt, wie man ihm vor Gericht vorwarf? Stand er abseits – womöglich vor dem Haus – und stand Schmiere? Oder entsprachen seine ständigen Unschuldsbehauptungen der Wahrheit?

Am Ende wirft der Mordfall mehr Fragen auf, als er beantworten kann. Und man wünscht sich, Walter Sedlmayr hätte Ende 1989 auf seinen Vertrauten Siegfried Rohrmoser gehört und sich von Wendler zu diesem Zeitpunkt schon getrennt, geschäftlich wie privat. Dasselbe gilt auch für den raffgierigen Privatsekretär Werner Dahms. Vielleicht hätte das Unglück verhindert werden können. Ein Satz aus den Akten blieb mir besonders hängen. Rohrmoser versuchte Sedlmayr am Sonntag, den 15.Juli 1990, also Stunden nach dem Mord, seinen alten Freund anzurufen, da auch er den Zeitungsbericht über die Spaniengeschichte gelesen hatte und besorgt war. Mit beiden – Wendler und Dahms – hatte er in der Vergangenheit mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Siegfried Rohrmoser wollte den Schauspieler fragen, „wer denn nun seine Freunde sind. Der Amadeus, der Privatsekretär oder ich“. Der Mord, als auch die darauf folgenden Geschehnisse haben diese Frage auf erschütternde Weise beantwortet.

Fast schon ironisch erscheint es, daß nicht die angeblich kriminelle Stricherszene für Sedlmayr gefährlich war, sondern wahrscheinlich ein Mann, den er jahrelang gepusht, finanziell gefördert und anfangs aus dem Dreck gezogen hat. Dem er bis kurz vor seinem Tod blind vertraute. Die Jungs von der Straße, mit denen Sedlmayr in seinen letzten Lebensjahren zu tun hatte, waren vollkommen harmlos. Niemand von ihnen sprach negativ über ihn, im Gegenteil. Keiner von ihnen stellte je eine Gefahr dar. Der Feind lauerte im inneren Kreis. Ein Mann, der Wochen vor Sedlmayrs Tod aus eitler Rachsucht ein perfides Enthüllungsbuch über den Schauspieler verfassen wollte, das diesen in aller Öffentlichkeit bloßgestellt hätte. Ein Mann, der sich laut einer Zeugenaussage mindestens einmal auf widerlichste Art höhnisch über den Mord geäußert hat. So auch sein Halbbruder. Allerdings sei noch erwähnt, daß wichtige Unterlagen, die Walter Sedlmayr gegen Wendler am 16.Juli seinem Rechtsanwalt vorbringen wollte, gar nicht aus der Wohnung verschwunden waren. Sämtliche Schriftstücke, wie beispielsweise die Eidesstattliche Erklärung Wendlers vom Februar 1989, lagen verstreut am Boden des Tatorts, in braunen DIN-A-4-Umschlägen geordnet und adressiert an besagten Anwalt. Warum hat Wendler, wenn er dort war, diese nicht mitgehen lassen? In Anbetracht dieser Tatsache bekommt die These von Hannes Burger mehr Gewicht.

Mittlerweile komme ich persönlich zu dem Ergebnis, daß es einen dritten Mann nie gegeben hat. Die Personen, die Gegenstand der ersten beiden Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens waren, Petar Vrabatovic und Dragan Ott, hielten sich am Tattag nicht in München auf, das ist zweifelsfrei bewiesen worden. In Anbetracht dessen ist es fraglich, ob Ralf Z. an der Tat beteiligt gewesen ist. (Bleibt nunmehr die Frage offen, wie sein Fingerabdruck in die Wohnung kam.) Amadeus Wendler wird sich am frühen Abend des 14.Juli 1990 Zutritt verschafft haben, vielleicht versucht haben, die Wogen ein letztes Mal zu glätten, und erhielt daraufhin eine klare und lautstarke Absage von Walter Sedlmayr, der möglicherweise auch damit drohte, ihn wegen Hehlerei und anderen Delikten anzuzeigen. Daraufhin dürften bei Wendler die Sicherungen durchgebrannt sein, und das Blutbad nahm seinen perversen Lauf.

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Die Dame, die 2004 im Archiv der Münchner Tageszeitung tz arbeitete und mich mit argwöhnischen Blicken beobachtete, als ich neugierig die Zeitungsartikel durchsah, meinte zu mir lapidar, daß der Fall doch ein alter Hut sei, und man nicht unbedingt in den alten Kamellen wühlen müsse, da es ja sowieso nichts bringt. Wenn sie sich da mal nicht getäuscht hat. Auch wenn der Mordfall damals schon einige Jahre hergewesen ist, hatte er nichts von seiner abscheulichen Brutalität, Härte und Sinnlosigkeit eingebüßt. Daran hat sich bis heute auch nichts geändert: Walter Sedlmayr durchlitt qualvolle Todesängste und unvorstellbar gewaltige Höllenschmerzen, Momente, die ihm gnadenlos lang vorgekommen sein müssen. Es spielt hierbei keine Rolle, ob es sich da „um einen alten Hut“ oder um ein aktuelles Geschehnis handelt, wie ich meine. Der schnell dahergesagte Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ greift in einem Fall wie diesem nicht. Was geschehen ist, ist geschehen und darf nicht vergessen werden. Diese Tatsache sollte man sich vor Augen halten.

 

Außerdem denke ich, daß Walter Sedlmayr eine Ge­ne­ral­ab­so­lu­ti­on verdient hat. Es wäre schön, wenn der Bayerische Rundfunk zum Beispiel einen speziellen YouTube-Kanal einrichten würde, wo man die Highlights des Schauspielers geschmackvoll  präsentieren kann. Auch die Stadt München könnte mehr machen: eine Statue, ein Abbild Sedlmayrs, mitten auf den Viktualienmarkt errichten. Oder mehr Gedenktafeln anbringen. Beispielsweise am Eingang des Hauses, wo der grauenvolle Mord geschah. Das ist das mindeste, was man erwarten kann. Und der schmuck- und glanzlose Platz in Feldmoching, den man 2003 eröffnete und nach dem Schauspieler benannte, ist eher eine Schande, als eine Ehrung. Aber immerhin kümmert man sich regelmäßig um sein Grab auf dem Bogenhausener Friedhof. Man kann es zu jeder Jahreszeit besuchen, es ist immer gepflegt und wird regelmäßig neu bepflanzt.

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Die Öffentlichkeit geht heute mittlerweile milde und anerkennend mit dem Schauspieler um. Das beweisen Internetkommentare von Menschen, die sich gerne an ihn zurückerinnern. Hier einige Beispiele:

„Schade um ihn. Er war einer von den Guten. Sowas gibt es heute kaum noch.“ (Max Zorin)

„Ich mag ihn! Und ich finde es sooo traurig, wie er gestorben ist. Ich habe ihn zwar nicht gekannt,  aber ich glaube, er war ein ganz sensibler Mann und hatte einfach zuviel Angst, wenn die breite Masse erfahren hätte, daß er homosexuell ist.“ (‚Patty Hurst‘)

„Ein hervorragender Schauspieler, der seine Rollen so echt rüberbringen konnte. Besser geht nimmer.“ (’70appenzeller‘)

„Großartiger Schauspieler und toller Mensch. Für Leute, die sich hier verschämt abwenden, weil er homosexuell war, muß er wirklich nicht rehabilitiert werden. In welchem Jahrhundert leben wir denn?“ (‚Florida Jogi‘)

„Ich fand das damals einfach erschütternd. Ein älterer Herr, der so grausam abgeschlachtet wurde . Da konnte man schon weinen aus Mitleid. Mir ist es so gegangen, und bis heute empfinde ich da überhaupt keine Scham. (‚Winterweib‘)

„Du wirst mir immer unvergessen sein!“ (‚Nancy Conrad‘)

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Hannes Burger brachte das Leben und die Tragik des Schauspielers in seiner Trauerrede im Juli 1990 gekonnt auf den Punkt:

„Walter Sedlmayr hat unzählige Menschen mit seiner Kunst und seinem Humor glücklich gemacht – und war doch selbst ein unglücklicher Mensch. Walter Sedlmayr hinterlässt ein Millionenvermögen und starb doch als hilfloser armer Mann“.

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Walter Sedlmayr (1926-1990)